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Ellen Leopold is a member of the Women's Community Cancer Project in Cambridge, Massachusetts. She has been writing about breast cancer for a decade, for a variety of publications including The Nation and the Chicago Tribune. She lives in Cambridge, Massachusetts.

Obras de Ellen Leopold

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[Text: Gudrun Kemper]

Fukushima bietet erneut einen dringlichen Ansatzpunkt, um über die Wirkung von künstlich erzeugter Strahlung nachzudenken. Künstlich erzeugte radioaktive Strahlung ist allgegenwärtig. „Die Schäden durch Strahlung im Zusammenhang mit Programmen aus der Zeit des >>> Kalten Krieges haben uns buchstäblich überrollt mit einer wahren Flutwelle von potentiell krebserregenden Stoffen im Strom von Waren und Dienstleistungen der Nachkriegszeit“, sagt Ellen Leopold in ihrem Buch „Under the Radar: Cancer and the Cold War“ (S. 29) und arbeitet einige weitere unbequeme Zusammenhänge auf. Neue Technologien des „Atomzeitalters“ und ihre politische Forcierung fallen nicht zufällig in die gleiche Zeitspanne: Nuklearmedizin, Atomkrieg, Atomkraftwerke.

Ellen Leopold geht mit ihrem Buch Mechanismen der Angst, Zynismus, Ausbeutung und der unentwegten Propaganda bzw. Manipulation der Öffentlichkeit durch Medien und Politik nach, die die tägliche Diskussion zu Krebs in „modernen“ westlichen Gesellschaften bis heute bestimmen. Sie sucht den roten Faden politischer und ökonomischer Verschmelzungen, der seit vielen Jahrzehnten, in jüngerer Zeit sogar mit zunehmender Tendenz, die Medizin durchzieht. Ellen Leopolds Arbeit hat für das Verständnis der Auswirkungen von Strahlung die gleiche Wertigkeit wie die von Rachel Carson. Carson hat mit ihren Schriften und Arbeiten für ein anderes Verständnis im Umgang mit Chemikalien in unserer Gesellschaft über alle Widerstände hinweg gesorgt und ist bis heute eine Art „Mutter der Umweltbewegung“. So sieht es jedenfalls Barbara Brenner, bis Ende 2010 Geschäftsführerin von Breast Cancer Action.[i]

Nachdenken [Fukushima]

Eine offene Diskussion zu Krebserkrankungen in unserer Zeit, verursacht durch Hiroshima, Tschernobyl, Fukushima (…), weltweit und hier bei uns in Deutschland, fand und findet nicht statt. Gegen Ende des 2. Weltkriegs war die Diagnose Krebs eine Botschaft des Todes. Heute, rund 65 Jahre später, reden viele beschönigend von „chronischer Erkrankung“. Überlebensraten sind marginal angestiegen, Erkrankungsraten haben sich vervielfacht und das schreckliche Wort Krebs sorgt weiterhin für Terror und Schuld und inspiriert Wissenschaftler und Politiker zur Kriegführung. Ellen Leopolds Buch Under the Radar ist nicht nur vor dem Hintergrund der Fukushima-Katastrophe aktuell. Die Autorin befasst sich nicht allein mit Brustkrebs. Zusammenhänge der Entstehung von Krebs, Politik, Ursachen und die paradoxe Entwicklung von Therapiemethoden sind das Hauptthema des Buches. Leopold betrachtet die Geschichte der Atomwissenschaft und die Ausweitung der Nutzung von Strahlung zu Therapiezwecken.

„Gemeinsame Entscheidungsfindung“ und „informierte Einwilligung“ – Der Präzedenzfall

Leopold beginnt ihr Buch mit der Geschichte einer jungen Hausfrau und Mutter, Irma Natanson (Jg. 1921), die 1955 an Brustkrebs erkrankte. Natanson erkrankte in der Zeit >>> vor Betty Friedan, vor der zweiten feministischen Welle, in einer Zeit, bevor „artige“ Menschen überhaupt über eine Krankheit wie Brustkrebs sprachen.[ii]

Irma Natansons Eintritt in einen komplexen medizinischen Leidensweg fand plötzlich und unvorbereitet statt, ohne kritischeres Verständnis, wie es in den letzten beiden Jahrzehnten im Zuge der Ökonomisierung der Medizin zwischen ÄrztInnen und PatientInnen heute etwas üblicher geworden ist. Schnell und passiv durchlief Natonson Mastektomie und Entfernung der Lymphknoten. Lymphknotenbefall war nicht nachweisbar. Die Krankheit war ihr als medizinischer Notfall vermittelt worden. Eine Woche später war sie bei dem Radiologen, den ihr Chirurg empfohlen hatte. Die zuvor in Kanada entwickelte Kobalt-Bestrahlung wurde in den 1950er Jahren experimentell angewendet. Natansons Krankenhaus war eines der ersten, die das Verfahren in den USA einsetzten. Dass man sich eine Frau aus der Mittelschicht, die passiv genug gewesen sei, dabei klaglos mitzumachen, gesucht habe, sei kein Zufall gewesen.[iii] In ihrem Artikel >>> Irma Natanson and the Legal Landmark Natanson v. Kline schreibt Ellen Leopold kritisch, dass insbesondere Frauen diejenigen seien, an denen etwas Neues ausprobiert würde. Häufig ahnten sie nicht, dass sie als Versuchskaninchen dienten. Das Bewusstsein dafür ist auch heute gering, obwohl unzählige Versuche für gesundheitsbezogene Situationen und Krankheiten vor dem Hintergrund der Entwicklung profitträchtiger Medizinprodukte Hochkonjunktur haben. Schutzmechanismen und Warnhinweise sind dafür in der Regel schlechter als für bereits zugelassene Medikamente und Produkte.[iv] Auf dem Weg zur „Evidenz“ stellen Frauen ihren Körper zur Verfügung, um neue Hypothesen zu testen, und in diesem Fall seien sie sowohl experimentelle „Subjekte“ wie auch Patientinnen, so Leopold.

Irma Natanson erlitt bei dem an ihr durchgeführten Experiment schwerste Schäden. In der Folge der immensen Strahlendosis, die Natanson verabreicht wurde, mussten ihr anschließend wegen schwerer Verbrennungen mehrere nekrotisierende Rippen, Brustwand und umfangreiche ulzerierende Hautpartien entfernt werden. Es blieb eine dauerhafte Behinderung, die Gesundheit und Lebensqualität ernsthaft beeinträchtigte, ohne Hoffnung auf Rückkehr zur Normalität. Mehr als 20 Operationen folgten. Ein Lungenflügel stellte den Dienst so gut wie ein. Die Blutversorgung eines Arms war stark eingeschränkt. Es kam zum langsamen Absterben von Gewebe, einige Finger mussten amputiert werden. Natanson war Klavierspielerin. Es folgten endlose Infektionen und ein Zustand, den keine Chirurgie jemals mehr hätte reparieren können. Weitere Details werden an dieser Stelle ausgespart.[v]

Ein Gerichtsurteil mit Folgen

Enorme Rechnungen für die medizinische Behandlung fielen an. Der behandelnde Arzt hatte im Vorfeld der „Therapie“ nicht vor Risiken gewarnt und nicht darauf hingewiesen, dass es sich um ein experimentelles Verfahren handelte, mit dem man bisher kaum Erfahrungen hatte.[vi] Natanson blieb nicht passiv. Schließlich verklagte sie ihren Arzt: wegen mangelhafter Aufklärung über Behandlungsrisiken und wegen der nicht sachgemäß durchgeführten „Therapie“, die mehr ein Experiment denn eine Therapie gewesen sei. Sie gewann den Prozess. Eine bisher nicht offengelegte Summe zur Entschädigung wurde gezahlt. Der Prozess sorgte auch deswegen für Aufsehen, weil sichtbar wurde, welche Schäden am Körper einer Frau durch die Therapie von Brustkrebs entstanden. Sie waren der Anstoß zu Diskussionen über die informierte Einwilligung („informed consent“) und die gemeinsame Entscheidungsfindung („shared decision“). Sind sind heute in der Aufklärung bei medizinischen Eingriffen „Standard“. ÄrztInnen diesseits und jenseits des Atlantiks sind juristisch verpflichtet, PatientInnen über Nutzen, Risiken und mögliche Nebenwirkungen medizinischer Maßnahmen aufzuklären.

Brustkrebs war noch 50 Jahre später in den USA der häufigste Grund für juristische Auseinandersetzungen wegen Kunstfehlern, in jüngerer Zeit auch wegen falsch bewerteter Mammographien. In Deutschland gab es den Essener Brustkrebsskandal, allerdings wegen krimineller Energie in der Pathologie. Eine breitere Aufarbeitung des >>> Essener Brustkrebsskandals lässt noch auf sich warten. Wer die Rechtsprechung in Deutschland intensiv verfolgt, kann sehen, dass Brustkrebs weiterhin häufig ein Klagegrund ist. Es gibt jedoch keine Transparenz bei den erwirkten Urteilen. Selbst die Recherche ist schwierig, weil >>> Finanzinvestoren am Verkauf deutscher Gerichtsurteile verdienen[vii]. Auch die Ausgangssituation für Klagen ist für betroffene Frauen in Deutschland schwieriger. Ein PatientInnenrechtegesetz existiert bis heute nicht und die geplanten Ausgestaltungen geben wenig Anlass zur Hoffnung.[viii]

>>> (pdf) Natanson v. Kline ist bis heute ein häufig zitiertes Urteil, wenn es um das Konzept der informierten Entscheidung geht. Irma Natanson lebte mit den Folgen des Experiments noch weitere 30 Jahre und starb schließlich an den Folgen einer fortgeschrittenen Krebserkrankung „unbekannter Herkunft“ (sog. >>> CUP-Syndrom).

Industrielle Expansion

Ellen Leopold betrachtet Natansons Geschichte nicht allein vor allem vor dem Hintergrund militärischer, industrieller und Regierungsinteressen bei der Ausweitung des medizinischen Gebrauchs nuklearer Techniken. Die Entwicklung der sogenannten Kobalt-Bombe (für die Behandlung mit Kobalt 60), die Kontroverse um radioaktive Niederschläge („Fallouts“), Krebsforschung, auch Strahlenschutzstandards standen in den 1950er Jahren auf der Tagesordnung. Natansons Geschichte sei beispielhaft für die damalige Zeit und nicht allein persönlich tragisch. Natanson sei Opfer der rasanten industriellen Expansion in der Medizin. Privatisierung, Ökonomisierung und das „auf den Markt“-Bringen neuer Behandlungen im Zusammenhang mit der Therapie von Krebs waren der fortan beschrittene Weg (S. 80). Die Strahlentherapie ist heute sehr viel sicherer geworden, das betont auch Leopold, auch wenn viele Dinge sich auch über 50 Jahre hinweg bis in die heutige Zeit hinein eben nicht grundlegend verändert hätten.

PatientInnen sei zwar durch die Gesundheitsberichterstattung in Massenmedien beigebracht worden, ihre ÄrztInnen zu fragen, wie oft sie ein Therapieverfahren bereits durchgeführt hätten. Aber das sei etwas ganz anderes, als ein Therapieverfahren selbst zu hinterfragen. PatientInnen wurden auch bei uns Deutschland in den vergangenen Jahren dahingehend „erzogen“, Ärzte nach höheren Standards und therapeutischen Optionen zu befragen, auf einer zweiten Meinung zu bestehen und sich selbst mehr Informationen zu suchen. Nur ein winziger Teil der PatientInnen werde sich jemals [bei so komplexen Erkrankungen wie Krebs] hinreichend informiert fühlen. Ein weitaus größerer Teil der Patientinnen [in den USA] habe nicht einmal adäquaten bzw. regulären Zugang zu ÄrztInnen. Und auch diese Tendenz, keinen hinreichenden Zugang zu ÄrztInnen mehr zu erhalten, ist in den vergangenen Jahren als Preis der Ökonomisierung in unserem Gesundheitssystem spürbarer geworden in den endlosen Wartezeiten, in wenigen Minuten, die ein Arztbesuch maximal in Anspruch nehmen darf, bei ÄrztInnen, die inzwischen überdies so viele andere Verpflichtungen wie Administration, Vorträge, Patienteninformationsveranstaltungen, Fortbildungen, Kongressbesuche, Qualitätssicherungen, Evaluationen, Benchmarkings, Controllings etc. neben der medizinischen Versorgung übernommen haben.

Leopold sieht auch die neue Verpflichtung zur Eigeninitiative von PatientInnen kritisch. So werde der Patientin lediglich noch mehr von den Lasten einer ernsten Diagnose auf die Schultern gelegt. Man bürde ihr die Unzulänglichkeiten der medizinischen Wissenschaft unter der Erscheinungsform des „shared decision-making“ auf. Leopold hält deswegen Forderungen nach mehr Eigeninitiative bei PatientInnen sowohl für unrealistisch wie auch für unfair.[ix]

Hinter verschlossenen Türen

Leopold setzt steigende Krebserkrankungsraten in einen Kontext mit der konform ansteigenden Zunahme der Kontamination durch ionisierende Strahlung. Nur dissidente WissenschaftlerInnnen warnten vor der gleichzeitigen Zunahme von Krebserkrankungen. Auf den ersten Blick haben die von Leopold parallel betrachteten Inhalte „Krebstherapie“ und „Kalter Krieg“ nichts miteinander zu tun. Bereits die Verknüpfung der beiden Themen ist ungewöhnlich. Es gibt, wie Leopold feststellt, zu diesen kritischen Themen keine öffentliche Diskussion, die die Öffentlichkeit auch erreiche, und das sei Teil des Problems. Kontroversen, die bezüglich der Richtung und der „Rentabilität“ des investierten Kapitals (Return on Invest) bestünden, fänden hinter geschlossenen Türen statt, in der wissenschaftlichen [politischen, industriellen] Community. Vieles sei deswegen spekulativ, da es nur schwer mit absoluter Sicherheit zu dokumentieren sei. Leopold will jedoch dazu bewegen, tiefer bzw. weiter zu schauen. Sie richtet den Blick auf Umweltbelastungen, zu denen die Kontamination mit gesundheitsgefährdender Strahlung gehört. Sie wünscht sich eine öffentlich wahrnehmbare politische Diskussion, gut finanzierte Forschung, repräsentiert auf den oberen Ebenen staatlicher Forschungseinrichtungen ebenso wie im Parlament.

Dunkle Flecken der Medizingeschichte

Auch wenn es zwischen „Krebs“ und dem „Kalten Krieg“ auf den ersten Blick keine Verbindung zu geben scheint, die auf Hiroshima folgenden Atomversuche und die Produktion und Tests mit Nuklearsprengköpfen haben einen Einfluss darauf gehabt, dass ansteigende Krebsraten in den USA diesbezüglich nicht untersucht wurden, so wie es bei uns bis heute keine zugänglichen Untersuchungsergebnisse mit Zahlen in Bezug auf Tschernobyl gibt. Die Tests hätten nicht fortgesetzt werden können, wenn bekannt gewesen wäre, dass Menschen in der Folge an Krebs sterben.[xiv]

Wer die jüngste Medizingeschichte betrachtet, konnte beobachten, wie trotz hoher Strahlenbelastung die Computertomographie mehr und mehr eingesetzt wird, wie mit der intraoperativen Bestrahlung der Brust in Brustzentren verstärkt geworben oder wie beim Darmkrebs-Screening mittels Computertomographie[xv] Strahlung eingesetzt wird, ohne dass dafür entsprechende Standards in den Leitlinien stehen und ausreichende Langzeitstudien vorlägen. Bei medizinischen Untersuchungen gibt es einen ansteigenden Trend hin zum Einsatz von Methoden, die ohne Strahlenbelastung nicht auskommen.[xvi] Nur wenige kritische ExpertInnen warnen, andere verkaufen die „Dienstleistung“. Ärzte hätten, so Leopold, dabei versagt, ihre Patienten zu schützen, besonders wenn sie im Kontext tödlich verlaufender Krankheiten nach Ausflüchten suchten (S. 94), während sie experimentelle Therapieversuche intensiv nutzten. Eine ähnlich kommerziell betriebene Intensität des Experimentierens lässt sich gegenwärtig auch in der profitorientierten medikamentösen „modernen“ Forschung auf einem Höchststand beobachten. Der Wechsel, der zu diesem Arsenal klinischer Studien für chemotherapeutische Medikamente gesorgt habe, sei auch durch einen Artikel im New England Journal of Medicine aus dem Jahr ausgelöst worden, der dem „Krieg gegen den Krebs“ Erfolglosigkeit attestiert habe.[xvii] Auch die Kanadierin und Brustkrebsbetroffene Shirley Farlinger ist auf der Suche nach Antworten. Sie hat sich mit Leopolds Buch befasst und weist auf die Notwendigkeit einer von den USA unabhängigen, eigenen öffentlich finanzierten Forschung zu Strahlung und ihren Wirkungen aus sämtlichen Quellen hin.[xviii]

Verantwortlichkeit

Sind Patientinnen selbst verantwortlich für die schmerzhaften und schwierigen Behandlungen, die ihre Ärzte ihnen verschreiben? Ellen Leopold stellt Verantwortlichkeiten für Krebs als Krankheit, bei der die Verantwortung den Betroffenen zugeschrieben wird - bedingt durch den persönlichen Lebensstils oder etwa verpasste Früherkennung – grundsätzlich in Frage. Sie ortet die Verantwortung an anderer Stelle, einige Beispiele:

Kampagnen wie >>> Atoms for Peace sollten Sicherheit und Vertrauen in nukleare Techniken vermitteln.
Die kommerzielle Expansion von Nukleartechnologien sei ohne große Kontrolle vorangetrieben worden.
Die Komplexizität der Verbindungen zwischen Regierung und Industrie beschreibt Leopold in entsetzlichen Details.[x]
Das medizinische Establishment (nicht ÄrztInnen generell, Machtinhaber!) sieht Leopold besonders kritisch: sorglos und indifferent im Umgang mit Strahlung, und zwar sowohl im Umgang mit Röntgenuntersuchungen, explizit der Mammographie, ebenso aber auch beim Einsatz in der Therapie von Krebs.[xi]
Tausende von Menschen seien verstrahlt worden. An den Folgen von experimentellen Krebsbehandlungen mit Strahlen starben Menschen. Die Washington Post notierte im Jahr 1981 620 Todesfälle infolge von experimentellen Krebsbehandlungen.[xii]
Krankenhäuser hätten dem Marketingdruck nachgegeben, Geräte angeschafft und eingesetzt, bereits bevor hinreichende statistische Evidenz die Sicherheit der Anwendung dokumentiert hätte, mit der Folge, das häufiger unsichere Dosierungen verabreicht worden wären.
Ellen Leopold sucht nach ethischen Verantwortlichkeiten und findet sie zum Beispiel bei der >>> Kommission für Atomenergie (AEC), bei der Werbung der amerikanischen Regierung für Strahlung als Weg der Krebsbekämpfung, angetrieben durch die industrielle Expansion der Nachkriegszeit und eine militärische Art des Denkens.[xiii]

Leopolds Lösungsansatz liegt nicht auf der persönlichen Arzt-/PatientInnenbeziehung. Die Kriegs- und Krebsmetaphern existieren weiterhin. Viele Frauen werden auch zukünftig glauben, sie müssten „Feuer mit Feuer bekämpfen“, mit der in Sicherheit wiegenden Annahme, dass nur die schwerste Therapie irgendwelche Überlebenschancen biete. Die Geschwindigkeit, in der die Therapie durchgeführt wird – s. Irma Natanson – bleibt für viele bestimmender Faktor: „Hauptsache, es ist raus“.

Ellen Leopold zeigt Zusammenhänge unseres Verständnisses und der Diskussion über Krebs auf, die in Verstrickungen des Kalten Krieges ihre Wurzeln haben: Aktuelle Verwerfungen zwischen individuellen und Konzernverantwortlichkeiten bei ansteigenden Erkrankungsraten und Forschung, die Behandlung an die Stelle von Vermeidung stellt, mit Therapien, die patentiert und vermarktet werden können. All dies reflektiert nach Leopold die - vielfach verborgene - Strategie des Kalten Krieges. Selbst die Sprache, die zur Beschreibung der Behandlung der Krankheit benutzt würde, könne entsprechend bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts zurückverfolgt werden. Leopold dokumentiert militärische und Regierungspositionen ebenso wie industrielle und medizinische Betrachtungsweisen von Strahlung und Atomenergie, um die Einflüsse der Nachkriegszeit auf Krebs durch das Brennglas des Kalten Krieges zu untersuchen. Sie stellt den militärisch-industriellen Komplex als verantwortlich heraus, der in „Partnerschaft“ mit Medizin Nebenprodukte des Krieges so schnell wie möglich kommerzialisiert habe, ein Prozess, der Unterstützung bei Krebsspezialisten gefunden hätte. Zuerst habe die US-Regierung versucht, die Risiken bzw. Schäden der durch ihre Atomtests verursachten Fallouts zu ignorieren, vor allem auch hinsichtlich der Anerkennung rechtlicher Ansprüche der Opfer. Sie befand sich jedoch im Gleichklang mit EpidemiologInnen, die die Verantwortlichkeit für Krebserkrankungen und ihre Entstehung im persönlichen Lebensstil als „lifestyle factors“ - zum Beispiel beim „Rauchen“ - verorteten, jedenfalls aber weitab von der Exposition durch ionisierende Strahlung und anderen künstlich hergestellten und die Umwelt durchdringenden Karzinogenen. Natürlich verursacht Rauchen ebenfalls Krebs, sogar Brustkrebs im Einzelfall. Ggf. lasse sich aber selbst auch das „Rauchen“ noch als Ablenkungsmanöver instrumentalisieren.

Beim militärisch-industriellen Komplex verortet Leopold auch die Verantwortlichkeit für die Umwidmung der Nutzung von Strahlung für immer mehr medizinische Einsatzbereiche, einschließlich Mammographie. Die These von Leopold sei hier, dass diese Technologien beispielhaft für die Art der militaristischen Herangehensweise bzw. des militaristischen Denkens innerhalb der amerikanischen Medizin ist.[VI] Dies schlage sich nachhaltig nieder im „Krieg gegen den Krebs“. Wir finden ihn wieder in den Metaphern und der Sprache der medialen Berichterstattungen, wo „Prominente“ fortgesetzt Krebs besiegen oder manchmal auch den „Kampf verlieren“. Aber auch „Früherkennung“ und aggressive therapeutische Interventionen hätten in dieser Strategie ihre Wurzeln, bevorzugt gegenüber der Primärprävention,[VI] der keine Priorität eingeräumt wird. Wenig Chancen also für konsequentere Wege der Vermeidung von Krebs durch Ursachenbekämpfung und die Vermeidung von gesundheitsgefährdender Strahlung.

Und wie geht es weiter?

Im Jahr 1950 starben rund 200.000 Menschen in den USA an den Folgen von Krebs. Im Jahr 2010 waren es mehr als 562.000.[xix] Die Bevölkerung der USA hat sich verdoppelt, während sich die Sterblichkeit an Krebs fast verdreifacht hat. Auch wenn die durchschnittliche Lebenserwartung in den USA in diesem Zeitraum von ca. 69 auf 77 Jahre angestiegen ist, scheint zumindest der „Krieg gegen den Krebs“ bisher nicht wirklich erfolgreich zu sein.

Die Autorin

Ellen Leopold erkrankte 1990 an Brustkrebs und engagierte sich damals für das Women’s Community Cancer Project (WCCP). Heute ist sie Mitglied des >>> National Advisory Council von Breast Cancer Action. Leopold ist auch die Autorin von A Darker Ribbon: Breast Cancer, Women, and Their Doctors in the Twentieth Century (Die dunklere Schleife: Brustkrebs, Frauen und ihre Ärzte im 20. Jahrhundert, erschienen 1999) und Coautorin von The World of Consumption (Die Welt des Konsums, gemeinsam mit Ben Fine, erschienen 1993). Sie forscht seit Jahrzehnten zum Thema Brustkrebs und war wissenschaftliche Mitarbeiterin der University of London sowie wirtschaftspolitische Beraterin im >>> Greater London Council, bis dieser von Margaret Thatcher im Jahr 1986 abgeschafft wurde. Sie ging später nach Massachusetts in den USA und veröffentlichte Artikel zum Thema Brustkrebs unter anderem in „The Nation“ und der „Chicago Tribune“.

Ellen Leopold: Under the Radar online

Under the Radar ist erschienen in der Reihe Critical Issues in Health and Medicine bei Rutgers Univ. Press im November 2008. ISBN: 978-0813544045. Eine deutschsprachige Ausgabe von Ellen Leopolds Buch „Under the Radar“ fehlt. Die englische Ausgabe ist im Buchhandel, in Bibliotheken (s. KVK) und teilweise online verfügbar bei:

Ebrary
http://site.ebrary.com/lib/academiccompletetitles/docDetail.action?docID=1025179... (bei Timeout einfach neu laden)
Google Books
http://books.google.de/books?id=8rY7Mn1qs6IC

Weiterlesen

Die Weltgesundheitsorganisation: Unter der Knute der Lobby von Andreas Zumach, Genf: „Wenn es um die gesundheitlichen Gefahren durch atomare Strahlung geht, regelt die Weltgesundheitsorganisation die Fragen einvernehmlich mit der Internationalen Atomenergie-Organisation.“ WOZ 14.04.2011

[i] Barbara Brenner auf der Verlagswebseite Rutgers University Press

[ii] Q&A with Ellen Leopold, 31.10.2008, Rugters University Press Blog

[iii] Julia A. Ericksen: Under the Radar: Cancer and the Cold War by Ellen Leopold; The Biopolitics of Breast Cancer: Changing Cultures of Disease and Activism by Maren Klawiter; From Pink to Green: Disease Prevention and the Environmental Breast Cancer Movement by Barbara L. Ley; Bearing Witness: Living with Ovarian Cancer edited by Kathryn Carter and Laurie Elit, Signs, Volume 36, Issue 2, Page 496-501, January 2011.

[iv] Die öffentlichen Verkehrsmittel in Berlin sind beispielsweise gegenwärtig [Stand 2011] in bisher nicht gekanntem Umfang gepflastert mit Werbung für klinische Studien zu allen möglichen Krankheiten und Symptomen.

[v] Mehr Details der Krankengeschichte sind dokumentiert in: The silent world of doctor and patient von Jay Katz u. Alexander Morgan Capron im Kapitel 3, darauf weist Ellen Leopold in ihrem Artikel Irma Natanson and the Legal Landmark Natanson v. Kline hin.

[vi] Toon, Elizabeth: Doctors enlisted to fight evil cells: Under the radar: Cancer and the Cold War. Times Higher Education 23.07.2011, http://www.timeshighereducation.co.uk/story.asp?storycode=407463

[vii] Jura-Datenbanken: So verdienen Finanzinvestoren am Verkauf deutscher Urteile, Konrad Lischka, Spiegel online v. 12.04.2011, http://www.spiegel.de/netzwelt/web/0,1518,druck-755813,00.html

[viii] s.a. Pressemeldung SoVD v. 08.04.2011, http://www.sovd.de/1822.0.html

[ix] Q & A, a.a.O.

[x] Julia A. Ericksen: Under the Radar: Cancer and the Cold War by Ellen Leopold; The Biopolitics of Breast Cancer: Changing Cultures of Disease and Activism by Maren Klawiter; From Pink to Green: Disease Prevention and the Environmental Breast Cancer Movement by Barbara L. Ley; Bearing Witness: Living with Ovarian Cancer edited by Kathryn Carter and Laurie Elit, Signs, Volume 36, Issue 2, Page 496-501, January 2011.

[xi] Julia A. Ericksen: Under the Radar: Cancer and the Cold War by Ellen Leopold; The Biopolitics of Breast Cancer: Changing Cultures of Disease and Activism by Maren Klawiter; From Pink to Green: Disease Prevention and the Environmental Breast Cancer Movement by Barbara L. Ley; Bearing Witness: Living with Ovarian Cancer edited by Kathryn Carter and Laurie Elit, Signs, Volume 36, Issue 2, Page 496-501, January 2011.

[xii] Farlinger, Shirley: Under the Radar, Peacemagazine

[xiii] Angela N. H. Creager: Cancer and the Cold War and Contested Medicine: Cancer Research and the Military, Bull. Hist. Med. 2010, 84, S. 151 – 152, http://muse.jhu.edu/journals/bulletin_of_the_history_of_medicine/v084/84.1.creag...

[xiv] Farlinger, Shirley: Under the Radar, Peacemagazine

[xv] Scientists Say F.D.A. Ignored Radiation Warnings, Harris Gardiner, New York Times v. 29.03.2010

[xvi] s. auch Vorsicht in punkto Strahlen

[xvii] Progress against Cancer? John C. Bailar, III, and Elaine M. Smith, N Engl J Med 1986; 314:1226-1232, May 8, 1986, http://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJM198605083141905

[xviii] Farlinger, Shirley: Under the Radar, Peacemagazine

[xix] Nach Elayne Clift, Breast Cancer Action Book Review: Under the Radar v. März 2009, http://bcaction.org/2009/03/21/book-review-under-the-radar-cancer-and-the-cold-w..., aktualisiert mit Daten Cancer, Facts and Figures 2010 (ppt), American Cancer Society. Die Bevölkerung der USA ist im benannten Zeitraum von rd. 157 Mio (1950) auf 318 Mio (2010) angewachsen (Zahlen: UN World Population Prospects).
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BCAG | May 26, 2011 |

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