Dieter Nuhr

Nicht über alles kann und soll man lachen, aber die Höhepunkte sind es, die wirklich herausragen. Dieter Nuhr (DN) gelingt mit diesem Buch (gegliedert nach Tageszeiten) eine verbale, intelligente Berg- und Talfahrt, die es wirklich in sich hat.

Jeder kennt die Anrufe einer x-beliebigen Firma, die nachfragt, ob wir mit dem Service zufrieden waren. Ich habe inzwischen meine eigene Taktik darin entwickelt, wenig Zeit dafür zu opfern. Wenn ich bekannte Nummern oder es meist schon an der Ansprache entdecke, ist der kürzeste Abbruch mit dieser Ansage möglich: Telefonseelsorge, Guten Tag!

DN aber nimmt den Anruf entgegen, um ein echtes Gespräch zu entwickeln, bei dem auch der Call-Service- Mitarbeiter „mitarbeiten“ muss. Zum Brüllen! (Seite 146) „Die Servicebefragung ist die Pest des 21. Jahrhunderts! Kaum hat man etwas gekauft, wird man gefragt, ob es einem gefallen hat. Wenn man nein sagt, wird der zuständige Mitarbeiter entlassen, wenn man ja sagt, wird der Preis erhöht. Warum sollte man sich freiwillig in eine solche lose-lose Situation begeben?“

Mir gefällt an DN, dass er seine Höhepunkte aufbaut, sie also nicht wie ein Bombenteppich im raschen Wechsel nacheinander fallen lässt, sondern nach einer langweiligen Überfahrt bzw. Ruhepause wieder hinführt zu einem echten Lacher. Die Absurditäten des Alltags legt er damit glasklar offen, jene Momente insbesondere, die wir alle erleben und doch wieder vergessen. DN Ist wie eine Wiederkehr, ein Traum des soeben Gewesenen. “Die Gedanken sind frei. Auch wenn sie mit Bier aufgefüllt werden. Flop. Das satte Geräusch des entfernten Kronenkorken füllt die Küche.“

Die kleinsten Partikel und Elementarteilchen, die wir vergessen im Nebel der Worte und des Tages, DN sammelt sie auf und gießt sie zu einem intellektuellen Feuerwerk, das trotzdem einfach zu lesen ist. Seine Kunst besteht darin, Unmögliches in einfachsten Worten zu erklären, ihm einen Wert zu geben, eine Bedeutung - oder eben keine.

Das Geheimnis des perfekten Tages endet oft auf der Toilette und DN streut in das gesamte Buch jene Details ein, die uns alle umgeben, von der Toilette bis zur Küche, vom Schlafzimmer bis zum Schrank. Es ist völlig richtig, nie habe ich an sie gedacht, aber Möbelgriffe müssen über eine verdammt starke Persönlichkeit verfügen, wenn sie ohne Depressionen durchs Leben gehen wollen. Ihr Da-Sein, gefüllt mit Nichtbeachtung und Diskriminierung, geschuldet der reinen Funktion, ist wirklich beachtlich. (Seite 107)

„Im Kreisverkehr vor der Tür hat sich ein Unfall ereignet. Zahlreiche Menschen haben sich versammelt und betrachten den immensen Blechschaden als Bereicherung ihres Alltags.“ Wie DN dann zu einem Zitat von Ebner-Eschenbach kommt, das lesen Sie auf Seite 247. Hier erstmal das Zitat: „Wenn die Zeit kommt, in der man könnte, ist die vorüber, in der man kann.“ DN redet wie er schreibt, er lässt uns Zeit, ihm zu folgen, er dreht an den Rädern von Zeit, Logik, Argumenten, Wahnsinn, Überraschungen – ein kunterbuntes Potpourri witziger, ver-rückter Gedankensprünge.

2015… (más)

"...So nimmt die Geschichte ihren Lauf. Es geht gleich los mit dem ersten Brudermord. ... Mit anderen Worten die Menschheit stammt offensichtlich aus dem sozialen Brennpunkt."

Dies ist eine der wenigen Stellen, bei denen ich noch lachen konnte. Dabei mag ich Dieter Nuhr und seine Spitzfindigkeiten eigentlich sehr. Vermutlich hatte ich hier deshalb auch die Erwartung, dass dieses Buch seinen Auftritten ähnlich ist.
Leider ging er in diesem Buch für meinen Geschmack doch häufiger über die Grenzen des guten Geschmacks hinaus. Schade - in seinen Programmen geht es doch auch...
Dieses Buch muss man nicht gelesen haben, und sollte man -wie ich- darauf bauen, dass es ähnlich gut seiner Programme ist am besten nicht lesen.… (más)